Warum die moderne Hirnforschung gedankenlos ist
Das humane Ich erweist sich dabei als artifizielles Konstrukt wie auch seine Seele als ideologische Fiktion erscheint.
Die moderne naturwissenschaftliche Forschung hat einen Zusammenhang von Gehirn und Geist im menschlichen Kopf und Körper festgestellt.
Es erweist sich hierbei die Immanenz von Denken und Handeln. (Während des Agierens wird reflektiert und das Handeln verstanden. Die Erfahrung provoziert Gedanken.)
Im 19. Jahrhundert begann die aufkommende Naturwissenschaft damit, das empirisch zu erforschen. Die Vermessung der Welt, mit Humboldt im südamerikanischen Urwald begonnen, begreift nun das heikle Feld des menschlichen Gehirns. Dies wird nun vermessen, gewogen, gezählt, seziert, nach menschlichem Ermessen neu begriffen und geordnet. Der Hegelsche Idealismus, wonach ein abstrakter Geist die Welt begreift bis er konkret und absolut ist, bleibt dem positivistisch materialistischen Mensch der industriellen Revolution, dem „Naturwissenschaftler“, ein erkenntnistheoretisches Rätsel. Er kann nicht verstehen, dass ein denkendes Subjekt, bar jeder Theorie, sein ideales Zentrum in die Welt projiziert. Er nimmt im 19. Jahrhundert sein anfänglich vorhandenes kümmerliches medizinisches Werkzeug in die Hand und schaut nach, was da dermaßen spekulativ idealistisch denkt und tönt und was seine Erfahrung dabei ausmacht. Kann man diesen Motor menschlicher Artifizialität konkretisieren, seine Schemata erkennen und in einen Standard formalisieren, ja normieren? Wer die Welt ver- und bemisst, der wird sie auch eingrenzen.
Die Austrixerei mit dem Schlagwort, alles sei von Gott gewollt, die Begründung des absolutistischen Klerus und Adel, hatte sich erledigt. Damit hatte man auch eine Menge Mythen und Vorurteile über die Seele und das Ich des Menschen vom Sockel gestoßen. Die „alten Erzählungen“ waren am Ende und die poetische Topografie musste entrümpelt werden. Die Entzauberung der Welt wurde vollendet. Wobei man stets bedenken muss, dass Aufklärung auch Entzauberung durch neue Verzauberung bedeutet. Auch Reformation und Aufklärung lügen, oder besser gesagt, vertauschen alte Wahrheiten mit neuen Tatsachenbehauptungen. Technisch-mathematische Kräfte setzten sich jetzt durch und spielen ihr rein positivistisches verantwortungsloses Spiel. Die Paranoia der katholischen Kurie, deren alte und seit Jahrhunderten überholte Narrative, schmeißt die moderne Physik auf den Müllhaufen der Geschichte. Allein eine machtlüsterne Politik betrieb die alten poetischen Topologien weiter und erstarrt seitdem in ihrer geschwätzigen Konvention. Was geht bloß in deren Köpfen vor? Sind sie böse, unselbständig oder einfach dumm, weshalb versteigen sie sich dermaßen und lassen ein humanes Maß vermissen? Die Dampfmaschine beschleunigt wohl dermaßen die Zeit, dass die Gesellschaft kaum noch mit kommt. Da sollte man schon mal nachschauen!
Es kursiert die Geschichte von dem Forscher Paul Broca, der den Schädel eines toten, sein Leben lang schwer sprachgestörten Patienten, der eine Silbe herausbrachte, öffnete und untersuchte. Dabei erkannte er, dass ein zentraler Nervenknoten - offensichtlich das Sprachzentrum - völlig zerfressen war. Die Sprachstörung dieses Patienten war also Natur bedingt. So begann mit diesem Anatom ganz offensichtlich die moderne Hirnforschung. Man darf also schließen, dass die Verstandestätigkeit an Körperfunktionen gebunden ist. Den menschlichen Geist stelle man sich nicht vor als etwas, was auf unerklärliche Weise von außen dem Menschen zukommt, etwas, das Gott dem Menschen schenkt. Auch die Seele befindet sich eher im individuellen Nervenzentrum, Gehirn genannt, und nicht im Herz, wie man lange glaubte. (*1) Erwähnt sei hier noch der Anatom Franz-Josef Gall, der als einer der ersten die These von der funktionellen Gliederung des Hirns vertritt. Dies trug er seinerzeit der Öffentlichkeit vor, was ihm der deutsche Kaiser, der immer alles besser wusste, aber versagte. Denn er stieß damit die gesamte damalige poetische Topologie, das christliche Narrativ, vor den Kopf. Darauf hin bemühte sich Gall bei der französischen Akademie der Wissenschaft um wissenschaftliche Anerkennung, was ihm auch gelang. Dieser stellt er seine These vor, dass individuelle Begabung und Charakterzüge auf eine besondere Ausprägung der zuständigen Gehirnregionen her rühre, was wiederum von besonderen Ausprägungen der zuständigen Gehirnregionen stamme.
Es hänge von bestimmten Ausführungen des Schädelknochens ab. So was nennt man Schädellehre (Phrenologie). Diese Lehre konnte nicht immer bestätigt – aber auch nicht widerlegt – werden. Allerdings besteht die Lehre von den differenten Ausprägungen der Gehirnregionen weiter. Hierzu trägt Carl Wernicke bei, der herausfand, dass andere Gehirnregionen die Aufgaben des beschädigten Sprachzentrums übernehmen können, was aber dem Patienten des Herrn Broca nichts nutzte. (Das Gehirn muss zuerst einmal einwandfrei funktioniert haben, was bei dem Broca-Fall wohl nie so war. Das Gehirn konnte daher keine Erfahrung speichern. Was beweist, dass Ideen einer Erfahrung bedürfen, sonst sind sie für die Katz’ bzw. Herrn Broca.)
Die Neurobiologen beschäftigen sich seitdem aus naturwissenschaftlicher Sicht mit dem Gehirn und werten es aus. Diese Biologen können dem Gehirn beim Denken zuschauen mittels einer leicht radioaktiven Salzlösung im Blut des Patienten, die zeigt, welche Bereiche des Gehirns bei bestimmten Aktionen besonders durchblutet werden. Dadurch ergeben sich Hinweise darauf, wo gedacht wird (aber nicht, was gedacht wird). Somit kann man beobachten, wo gelernt, wo geträumt, wo Wahn erzeugt wird. Dazu braucht man glücklicherweise heute nicht mehr den Schädel öffnen. Es hilft der „transkraniale Magnetostimulator“ auch dabei, auf Hirnfunktionen Einfluss zu nehmen. Damit eröffnet sich für die Hirnforschung ein fast unendliches Feld der Hirnfunktionen. Man kann dies Gehirn sozusagen als Zentralcomputer auffassen, von welchem der Mensch her bestimmt wird. Allerdings ist das Hirn noch mehr als nur ein Rechner und Reagierer, es nimmt die körperliche Gefühligkeit hinzu, was die Angelegenheit so schwer berechenbar macht. Das Hirn erhält ja seinen Input sinnlich über den Körper. Körper und Hirn wirken zusammen am menschlichen Verhalten. Daher ist die Rede von der reinen Vernunft barer Unsinn. Jede „vernünftige“ Reflexion findet unter irrationaler Gefühligkeit statt. Die Ratio hat ihre Affekte.
Anhand der Beobachtung von Schimpansenhirnen mit Hilfe dieses Magnetostimulators konnte man herausfinden, wo im Hirn das Gestern, das Heute und das Morgen stattfinden. Das Gehirn hat also seinen Platz für Vergangenes und Zukünftiges. Sollte dieser Platz zerstört oder krank sein, findet Vergangenheit nicht statt. Die Nachfolger Paul Brocas deuten das Bewusstsein als einen Vorgang von chemischen und elektrischen (energetischen) Vorgängen. Denn auch die Angst, der Durst, die Liebe haben entsprechende Hirnfunktionen (natürlich auch seine Körperfunktionen). Hierbei sind die Neuronen Empfindungsträger. Die Annahme einer wirksamen Seele hätte sich mit der Beobachtung eines energetischen Empfindungsträgers erledigt. Was genaugenommen den unbeseelten Zustand des Positivismus beweist. Auch die sophistische Philosophie hat die Annahme einer unsterblichen Seele zu einem großen Teil verworfen. Die Theologie tut sich – verständlicherweise - noch etwas schwer damit.
Und woher kommt die Energie, die dies Gefüge in Betrieb setzt? Es ist das Herz, welches das Blut mit dem Sauerstoff durch den Körper und damit ins Gehirn treibt. Ohne diese Energiezufuhr stirbt das Hirn ab und der Körper erhält keine Signale mehr (weshalb man vom Hirntod als endgültigen Tod ausgeht). Ganz selbstverständlich setzt man voraus, dass das menschliche Leben nach mathematischen Größen messbar ist. Als sicher gilt, dass der Positivismus unbeseelt bleibt. (Die vom wissenschaftlichen Positivismus geleitete Gesellschaft verfährt unbeseelt. Schon weit vor Marx betreibt Comte den puren Materialismus. Es ist unter anderem das, was die Marktwirtschaft als rein materialistische Geldwirtschaft umtreibt.)
Ist nun das Bewusstsein weniger eine Frage von traditioneller Religion und Philosophie wie Psychologie und mehr ein naturwissenschaftliches Thema? (weshalb sich die moderne Psychologie naturwissenschaftlich aufstellt.) Denn eins ist sicher, die Gehirne aller Kreaturen sind nicht nur ähnlich zusammen gesetzt, sie funktionieren auch ähnlich. Vom Frosch bis zum Orang Utan haben alle Vierfüßler den gleichen Bauplan aus Großhirnrinde, Kleinhirn und Zwischenhirn. In all diesen Gehirnregionen arbeiten Neuronen und Verbindungen, die sich schon in den Würmern befinden. Diesem Bauplan folgen auch die Hirne absolutistischer Herrscher und spekulativer Theologen. Herrscher von Gottes Gnaden gibt es also so wenig wie die Einrede Gottes bei Glaubensvertretern. Alle folgen allein der neuronalen Bestimmung des Gehirnes.
Der Hirnforscher Wolf Singer stellt hierzu fest, dass das Nervensystem des Menschen viel komplexer ist als das des Plattwurms, doch im Prinzip ist es mit dem Plattwurm verwandt. Es besteht aus dem gleichen Stoff. Damit hat jede Denk- und Bewusstseinsgrundlage, die biologisch gleiche Konsistenz. Jedes Lebewesen besitzt danach die mehr oder weniger ihm notwendige Neuronenausstattung mit den entsprechenden Verbindungen. Man darf das so verstehen, dass das Gehirn-Potential der Körperstruktur des jeweiligen Lebewesens entspricht. Je multiplexer ein Lebewesen in seiner Körperausbildung, desto multiplexer die Gehirn-Körperstruktur. Denn das Gehirn gehört untrennbar zum Körper. Die Trennung zwischen hinfälligem Körper und beseeltem Geist, Jenseits und Diesseits, erweist sich als obsolet. Sagten nicht die Lateiner: mens sana in corpore sano (ein gesunder Geist befindet sich in einem gesunden Körper? Kant lebte nach dieser Devise.)
Das Gehirn des Menschen hat sich im Laufe der Naturgeschichte evolutionär mit seinem Umfeld, dem Körper, herangebildet. Da ist nichts von ungefähr vom Himmel gefallen oder designt worden. Die Evolution hat es gemacht. Das Bewusstsein hat sich im Laufe der Erdgeschichte wie auf einer Leiter immer weiter in vielfältigere Sphären hoch gearbeitet. Die Biologie selbst feilt daran.
Auf einer der niedrigsten und anfänglichsten Stufen befindet sich notwendigerweise das Vermögen zur Aufmerksamkeit. Es geht dabei um den Erhalt des Körpers, bei der Sache zu sein, etwas thematisieren zu können, ohne sich von anderen Reizen stören zu lassen und Unwichtiges auszublenden. Niemand kann eine wichtige Aufgabe erledigen, ohne sich dabei bewusst zu konzentrieren. (Ein Grund auch, weshalb heute sogenanntes Multitasking als schädlich erkannt wird.) Ein Raubtier etwa konzentriert sich ganz auf das zu jagende Objekt. Es widmet dieser Beute, seiner Nahrung, seine ganze Aufmerksamkeit, ohne sich von anderen Einflüssen ablenken zu lassen. Das Raubtier muss seine ganze Aufmerksamkeit auf ein einzelnes Phänomen konzentrieren, darf sich nicht verzetteln, um Erfolg zu haben und sich nähren zu können. Auch friedliche Pflanzenfresser widmen ihrer Ernährung ihre ganze Aufmerksamkeit. Bei Schimpansen konnte man feststellen, dass diese bei Konzentrationsaufgaben im Forderhirn aktiv sind, ganz so wie der Mensch auch. Somit folgern die Forscher, dass die Aufmerksamkeit schon seit Urzeiten den Lebewesen eigen ist. Die Hirnforscher unterstellen diese Aufmerksamkeit schon den Reptilien, wie den Lurchen.
Eine höhere Stufe des Bewusstseins, die Gabe der Imitation, kommt erst bei höheren Tierarten, wie den Affen, vor. Nur große Affen sind in der Lage, sich in andere Wesen hinein zu versetzen. Nur die Lebewesen, die in sozialen Gemeinschaften leben, können so etwas wie Empathie entwickeln. Man versteht, dass vieles, was den Menschen als hoch entwickeltes Lebewesen ausmacht, die Evolution schon in anderen Lebewesen ausprobiert und angelegt hat. Doch warum unterstellt man dem Menschen einen Willen und dem Lurch nicht?
Professor Gerhard Roth in Bremen betreibt Hirnforschung exemplarisch am Salamander und zwar am Schleuderzungensalamander. Dabei untersucht er die Wirkungen von Glutamat und Sereotonin, Botenstoffen im Gehirn. Er will herausfinden, welche Nervenzellen aktiv und welche durch diese Botenstoffe gehemmt werden, welche einfach reaktionslos bleiben, wenn diesem Salamander eine Fliege erscheint. So will man das Jagdverhalten des Salamanders erkunden.
Prof. Roth stellt fest, dass Plattwürmer eines der einfachsten Nervensysteme haben. Sie haben ganz bestimmt keinen eigenen Willen. Sie bleiben allein von vitalen Reaktionen ihres Nervensystems bestimmt. Alles, was das Tier tut, erweist sich als durch die Reize der Umgebung und den jeweiligen Zustand des Nervensystems bestimmt. Beim Salamander sieht das schon etwas komplizierter aus. Einmal schnappt der Salamander nach der angebotenen Fliege, obwohl er satt ist und ein andermal wendet er sich ab. Verweist das auf einen freien Willen? Sicher, der Plattwurm wird ganz offensichtlich von den Signalen seiner Nervenbahnen geleitet. Doch beim Schleuderzungensalamander kommen noch Signale aus dem komplizierteren Hirn hinzu. Weil uns dessen Hirnfunktionen unbekannt sind, verstehen wir das so, als träfe das Tier eine Entscheidung.
(M.E. trifft das Tier eine Entscheidung, es fragt sich nur, was das Tier zu dieser Entscheidung stimuliert hat.)
Die Nervensysteme, die im Laufe der Evolution immer komplizierter werden, beschäftigen sich zunehmend mit sich selbst. Wenn man will, ist das Gehirn des Menschen nichts anderes als die Kulmination eines besonders komplizierten und multiplexen Nervensystems. Dies beschäftigt sich ebenfalls mit sich selbst, ein Vorgang, den man „denken“ nennt. (Es gibt bekanntlich auch lernfähige Computer, die zu gültigen Ergebnissen kommen. Man weiss nur nicht wie und woher.) Beim Plattwurm folgt auf ein Außensignal ein Signal aus den eigenen Nervenschaltungen. Beim Salamander kommen auf die Außenreize des Nervensystems schon Tausend Signale des Gehirninneren, beim Menschen sind es schon viele Millionen Male mehr Signale. „Das Prinzip ist bei allen Geschöpfen das Selbe“ sagt Prof. Roth. „Deshalb müssen wir nicht nur von der Seele, sondern auch von anderen Vorstellungen, dass es einen freien Willen gibt, endgültig Abschied nehmen. Wir Menschen haben ebenso wenig einen, wie der Plattwurm.“ folgert Roth etwas vorschnell. Der Mensch funktioniert also laut Roth wie der Plattwurm, wie eine Art biologischer Automat, wenngleich noch etwas komplizierter. Das menschliche Gehirn leistet das, was entsprechende Nervenbündel bei anderen Geschöpfen ebenso leisten. Es verrechnet Außenreize, bringt es zu früheren Erfahrungen in Beziehungen und sucht die Lösung, die ihm als die günstigste erscheint (So machen es die eben genannten Computer auch.). Nur geraten die Daten, die in die Rechnung einfließen, anders als beim Wurm, ins unüberschaubare und die Programme unendlich verwickelter als jene des Salamanders.
Das, die Abhängigkeit der Prägung durch die Mechanismen der Natur, vermutete schon der Philosoph und Misanthrop Schopenhauer. „Kleine Insekten werden vom Schein des Lichtes in die Flamme gezogen; Fliegen setzen sich der Eidechse, die eben vor ihren Augen ihresgleichen verschlang, zutraulich auf den Kopf. Wer wird hier von Freiheit träumen?“ und weiter mit Roth: „Bei den oberen intelligenteren Tieren, wird die Wirkung der Motive immer mittelbarer (...), beim Menschen wird sie unermesslich. Hinzu kommt noch, dass der Mensch die Motive seines Tuns oft vor allen Anderen verbirgt, bisweilen sogar vor sich selbst, nämlich da, wo er sich scheut zu erkennen, was ihn bewegt, dieses oder jenes zu tun.(...) Unter Voraussetzung der Willensfreiheit aber wäre jede menschliche Handlung ein unerklärliches Wunder – eine Wirkung ohne Ursache.“ (Roth meint eine naturwissenschaftliche Ursache. Das bestätigt allerdings die neuste Forschung.)
Der Hirnforscher Roth nennt es einen populären Irrtum, dass Menschen mit scheinbar mächtigem Willen Berge versetzen und sich selbst übertreffen können. Menschen, welchen man einen starken Willen unterstellt, wie Entdecker, Abenteurer, große Künstler oder bedeutende Politiker sieht Prof. Roth eher als Getriebene, als von ihrem Gehirnprogramm gesteuerte, welches ihnen nach Vollzug der Höchstleistungen besondere Belohnungsgefühle verschafft. (Selbst Hitler lief, darauf wohl programmiert, unbewusst in seinen eigenen Untergang. Sein Hirn hatte was Selbstzerstörerisches.) In Schopenhauers Richtung dachten schon Leibniz und der schottische Skeptiker Hume. Nun arbeiten die Neurobiologen daran, das empirisch zu beweisen.
Der amerikanische Neurologe Benjamin Libet hat im menschlichen Hirn die Zeitrhythmen untersucht. Er hat an elektrischen Hirnströmen fest gestellt, dass die motorischen Zentren Befehle gaben, bevor dem Menschen selbst dies bewusst wurde. Bevor ich mich also in Bewegung setze und halte das für meinen Entschluss, hat der Befehl, die Beine in Bewegung zu setzen, die motorischen Zentren im Gehirn gegeben. Es kommt mir halt so vor, als ob es mein eigner Wille sei. Wir nehmen zur Kenntnis, das Gehirn entscheidet bevor es uns als Individuen bewusst wird. Wir halten es nur nachher für unseren Entschluss. Man ist ja heute in der Lage, Patienten in bestimmten Hirnregionen so zu reizen, dass dieser Patient den Arm hebt und es für seine Entscheidung nach eignem Willen hält. Durch manipulative Hirnreizung brachte man eine junge Frau zu Lachen. Die behauptete sie hätte Lachen müssen, weil sie die sie umgebenden Forscher für „witzige Typen“ hielt. So täuscht das Bewusstsein das Gehirn und findet Gründe für sein Handeln. (Allerdings vermutet neueste Forschung schon weit vorher einen Willensentschluss, der nicht messbar ist.) Das wirft ein irritierendes Licht auf sogenannte vernünftige Entscheidungen. Sind nicht beispielsweise „vernünftige“ politische Positionen reines Sentiment?
Nun suchen Forscher schon seit Jahrzehnten, wo die zentrale Steuerregie liegt, wo alle Neuronen ihre Veranlassung her haben. Doch man hat bisher nichts gefunden.
Das, was auf ein Ich, ein personales Ego, eine das Gehirn steuernde Zentrale, hinweisen könnte, gibt es nicht. Im Herz, dem zentralen Motor des Blutkreislaufes, gibt es keinen Sitz der Seele, im Bauch, der Lunge, dem Darm auch nicht. Im Hirn findet sich keine Spur davon. Jedenfalls können die Naturwissenschaftler dies mit ihren Methoden nicht feststellen (was ja nicht zwangsläufig heißen muss, dass es das nicht gibt.). Diese oberste Nervenzentrale besitzt hunderttausend Synapsen, was im Vergleich zu anderen Tieren sehr viel ist, aber im Vergleich zu Menschenaffen nicht so viel mehr. Es entsteht der Verdacht, dass das auch etwas mit der Anatomie, dem Körperbau, zu tun hat. Menschenaffen können nicht sprechen, weil deren Anatomie sie dazu nicht befähigt. Wegen dieser Sprachfähigkeit formte sich das Gehirn des Menschen dermaßen, dass das Ich sich im Laufe des individuellen Lebens erst konstituiert. Mit einem Ich wird niemand geboren. Es entsteht erst aus der Erfahrung des Anderen, des Nicht-Ich. Ich weiß erst von mir, weil Ich die Erfahrung mache, was Ich nicht bin. (Hegel liegt mit seiner Dialektik offensichtlich richtig. Die Antithese ist die Negation der These. Daraus ergibt sich die Aufhebung, die Erkenntnisgewinnung aus der Abrede.) Der eben erwähnte Gehirnforscher Wolf Singer behauptet aufgrund solcher Beobachtungen: „Einen Begriff davon,
wer wir sind, müssen Babys erst erwerben. Später, wenn wir erwachsen sind, glauben wir, das Ich war seit jeher vorhanden. Doch in Wahrheit ist es nur ein soziales Konstrukt.“ Wir Menschen kommen auf die Welt, ohne einen Begriff von uns selbst zu haben. Erst allmählich lernt das Kind in der Wiege die eigene Mutter kennen. Mittels Entzug der Mutterbrust bemerkt der Säugling seine beschränkte Verfügungsgewalt, dass es also noch was Anderes gibt. Er kann zwar sehen und besitzt alle menschlichen Sinne. Er bemerkt, dass sich ihm da etwas nähert, etwas über die Wiege beugt. Doch die Reaktion der Neuronen prägen die Nervenzellen so, dass erst allmählich ein Begriff von Mutter zustande kommt. Die sich wiederholende Erfahrung spielt da eine große Rolle. Hierbei hilft die neuronale Vorprägung zur Konzentration. Erst mit 18 Monaten ist das Neugeborene in der Lage, sich im Spiegel zu erkennen. Bis dahin ist es eher ein fühlendes Säugetier denn vernünftiger Mensch. Im Laufe des Heranwachsens wächst die biologische Anomalie „Mensch“ heran. Festzuhalten bleibt, dass der Mensch ein soziales Konstrukt ist. Mit 1½ Jahren lernt das Kleinkind auch, andere Kinder nach zu ahmen. So erwerben sie die Vorstellung, dass es zwischen „mir“ und „dir“ einen Unterschied gibt.
Der Psychologe Julian Jaynes aus Princeton glaubt ausmachen zu können, wann unser – abendländisches - Ich-Gefüge entstand. Achilles und die Helden des Trojanischen Krieges wurden von ihren Göttern und deren Mythen gelenkt. Laut Ilias hatten sie noch keinen freien Willen. Die sie leitenden Götterstimmen wertet Jaynes als akustische Halluzinationen. Im Hirn sitzt die Region für akustische Signale, das Hören, nahe bei der Region für die Wahrnehmungen der Schizophrenen. Zwischen Ilias und der Odyssee verläuft ein Schnitt in der Wahrnehmung der Menschen. Vorher unterschied man nicht zwischen innen und außen des Geistes. So konnten Achilles und Co. auch nicht erkennen, ob sie auf inneren oder äußeren Zuruf handeln. Erst der Odysseus des zweiten Epos Homers bekam eine Ahnung davon, dass er selbst als der Urheber seiner List für sein Handeln verantwortlich ist. (Wir wissen heute, wie gerne sich Menschen vor ihrer Verantwortung drücken. Man denke an die Argumentation Eichmanns, der sich damit heraus zu reden versuchte, indem er von Befehlen sprach, die er befolgen musste.) Von Odysseus an, denkt Jaynes, hat das Konstrukt des Ichbewusstseins gewirkt.
Die Rufe der mykenischen Zeit, worüber der Mythos berichtet, sind Wahnstimmen, wie sie jeder vom Ichzerfall bedrohte Schizophrene erlebt. Singer vermutet, dass die Schizophrenen ihr Gehirn als solches nur ohne erkennbares Außenphänomen erleben. Sie halten den Wahn für Wirklichkeit. Die Schizophrenie erweist, wie überaus nützlich die Illusion vom Ich ist.
Aus diesem Anlass erinnere man die Erfahrung des Neurowissenschaftlers Heinze mit seinem Patienten, Herrn L.. Dieser ursprünglich vitale und gesunde Herr L. hatte einen Autounfall, wobei er Verletzungen am Vorderhirn erlitt. Er genas von diesem Unfall und schien wieder völlig hergestellt. Doch er wirkte auf einmal wie von außen gesteuert. Er benahm sich wie fremdgesteuert und war unfähig, das eigene Tun zu erinnern. Das Ich hatte seine Tätigkeit verloren. L. kann nicht abwägen und auswählen, hat kein Ziel und erweist sich als Gefangener des Augenblicks. Da fragt man sich: entwickelt der Mensch sein Ich, um seine Position zu deuten und die Grenzen der Zeitigung zu überwinden? Das menschliche Hirn gestaltet sich eine eigene Ansicht der Wirklichkeit. Hier bin ich, und da ist meine Position in der realen Welt.
Um Position beziehen zu können, zimmert das Ich-Bewusstsein sich seine eigene Welt. Der Evolutionsbiologe Richard Dawkins sagt: „Das Selbst gleicht einer Marionette, die in einer Kulissenwelt im Kopf herum turnt. Richtig brauchbar wird das Konstrukt erst dann, wenn das Gehirn nicht mehr ständig bewerten muss, was daran echt und was erfunden.(...) wirkungsvolle Illusionen sind als solche nicht zu erkennen.“ „Dies perfekte Trugbild, dem der Mensch nicht mehr entkommt, hat sich der Mensch in einer sehr frühen Phase seiner Kulturentwicklung geschaffen.“ meint Singer dazu. Das Ich hält er daher für den besten Trick, den das Hirn je erfunden hat.
„Das Bewusstsein von sich selbst ist gar nicht anders zu denken als im Zusammenhang mit anderen Menschen“ (Singer). „Wolfskinder haben kein Ich. Das Ich entsteht durch die Übertragung von anderen auf die eigene Person.“ Dahinter blickt so etwas wie der Selbsterhaltungswille des hungrigen Säugetiers hervor. Es muss schon darauf achten, dass andere ihm nichts weg fressen und es selbst nicht unter geht. Der Trieb betreibt diese Selbsterhaltung. In diesem Verständnis der Selbsterhaltung, dem Selbst, steckt eine Grundlage des Ichs.
Das Erlebnis einer Gefühligkeit der Eltern für ihre Kinder implantiert Wertigkeit in die Kinder. Der Selbstwert wächst sich zum Ich aus. Das Ich versteht sich als Individualisierung in einer Kultur der Iche. Bleiben doch die Eltern bemüht, die intendierten Gefühle des schreienden Kindes zu befriedigen, damit es Ruhe gibt. Das Kind merkt die eigenen Emotionen durch Reaktionen der Eltern oder Mitmenschen. So wächst der Mensch auch mit einem Selbstwertgefühl heran, welches die Eltern in ihm anlegen. Diese Gefühle schätzt er als das eigene Ich ein, obwohl es letztlich neuronale Reaktionen sind. Die Frage, ob Eltern ihren Kleinkindern Gefühle unterstellen und die Kleinen daraufhin eigene Gefühle feststellen, scheint etwas gewagt. Wichtiger erscheint die Entdeckung, dass die Natur die Empathie ins menschliche Gehirn sozusagen programmiert hat. Es scheint so, dass in dieser Empathie sich die Potentiale zum Ich befinden. Denn in der Reflexion darüber, was ist das, was sich in den oder das Andere einfühlt, kommt eine Ahnung vom Ich auf. So taucht das mögliche Ich als soziales Phänomen auf. Der Philosoph Sloterdijk hat da Recht, wenn er die kulturelle Identität als Mittel zur Prägung von Gemeinschaft identifiziert. So kommt er zu dem Begriff von enthnoplastischen Identitätsfindungen.(*2) Durch die Entwicklung von Sprache und Kultur finden Gemeinschaften (Völker, Ethnien) zusammen. Da Sprache gleich Denken ist, entwickelt sich eine Volksgemeinschaft durch Sprechen, Denken, Technik/Bauen, also durch Errichtung von Identität stiftender Kultur. Gemeinsame Ideale wirken Gemeinschaft stiftend. (Was mal die Aufgabe von religiösen Gemeinschaften war. Man findet sich zusammen, indem man an das Selbe glaubt und verteidigt das gemeinsam.) Das, was Eltern in ihre Kinder aus Empathie projizieren, nehmen diese auf und setzen das um. Dabei entsteht ein Gefühl von Selbstwert. So machen Kleinkinder ihre ersten Schritte in einer Zivilisation und deren Kultur. Es fragt sich daher, ob nicht die Kultur eines Kollektivs ein notwendiger Wahn für die Konstruktion zur Lebensführung ist. (Multikulti erweist sich hier als ein Modebegriff, der nur Verwirrung stiftet. Denn das Lernen beginnt mit der Konzentration auf ein Element und komplexe Systeme müssen daher zunächst außen vor bleiben. Der Jäger (nach Bildung) widmet seine ganze Aufmerksamkeit nur einer Sache, sonst scheitert er, wie eben beschrieben.)
Erst mit zwei Jahren sind Kinder in der Lage, zu erinnern, woher sie was gelernt haben. Das davor Gelernte schreiben sie dem Ich zu. Sie halten es für natürliches Wissen,
was sie durch Umwelteinflüsse mitbekommen haben. (Trotzdem bleibt es nie das Gleiche, was die kleinen „Hosenscheißer“ lernen. Die Verarbeitung der Naturphänomene bleibt individuell unterschiedlich. Das hängt mit der biologischen Konstruktion des Körpers, Größe, Gewicht, Geschlecht, Gesundheit, Zahl und Verbindung der Synapsen etc. zusammen. Selbst Zwillinge entwickeln sich nicht gleich. Daher sind nicht alle Menschen gleich, wenn sie auch gleichwertig sind.) Das scheint von der Evolution vorgesehen, dass sie Platz für die Entwicklung des Ich vorgesehen hat, was Singer ja auch bewundert. Deshalb ist es dem Menschen möglich, sich in andere Individuen hinein zu versetzen und diese auch zu täuschen. Somit steht das Nicht-Ich fest.
Aufgrund dessen kann das Kleinkind sich im Spiegel erkennen, was außer ihm nur noch hoch entwickelte Menschenaffen können. Aber zu denken, dass man morgen der Selbe ist wie gestern und heute, das geht noch einen Schritt weiter. Ist aber im Hirn angelegt. Hier baut eine Abstrahierung des Denkens auf.
Je weiter fortgeschritten das abstrakte Denken ist, desto höher die kulturelle Leistung. Der Hirnforscher Singer schließt, es bedarf einer natürlichen und kulturellen Evolution, um das Bewusstsein vom Ich in der Großhirnrinde zu implantieren. Es ist die Sprache, welche die höchste Stufe des Bewusstseins entwickelt. (Die ganze französische Philosophie des Strukturalismus, die auf den Sprachuntersuchungen des Linguisten Saussure aufbaut, behandelt über Foucault, Barthes bis Derrida, der die Difference der Begrifflichkeiten betrachtet, dies Thema.) Doch wenn man bedenkt, dass das Ichbewusstsein eine Folge von konstituierender Artifizialität (Kultur) ist, müssen Menschen verschiedener Kulturen auch mit unterschiedlichen Konzepten von sich selbst ausgestattet sein (Singer). Hierdurch kommt es zu divergenten Ethnien.
So untersuchen unsere Forscher weiterhin das Gehirn und gewinnen oft überraschende Einsichten. Wie eingangs gesagt, wiegen und bemessen sie und finden zu einer Geometrie, ja Arithmetrik des menschlichen Hirns. Doch manche ihrer Schlüsse kommen etwas weit gegriffen und überzogen daher.
Resümee
Das Ich
Zunächst kann man bei der Frage des Ichs und seines Bewusstseins sicher festhalten, dass dies Ich dem Menschen nicht in die Wiege gelegt wurde. Doch ein Potential dazu scheint vorhanden. Es kommt durch die Entwicklung einer aufwachsenden Person zur Geltung. Mit dem Menschen wächst auch sein Ich heran und dies gilt wohl bis zu seinem Ableben. Man versteht, dass ein Menschenleben ein permanentes Reagieren auf Umweltenflüsse ist. Das bildet sein Hirn, und erst, wenn er von diesem Leben endgültig Abschied nehmen muss, ist er an das Ende seiner Bildung gelangt. Deshalb sagt der Existenzphilosoph Sartre treffend, dass sich erst am Lebensende über einen Menschen urteilen lässt. Zuletzt liegt erst das Gesamtgefüge vor. So versteht man das Ich als Ergebnis kultureller Prägung. Es gibt das Ich, es ist halt nicht angeboren. Es ist allerdings aufgrund der differenten Empirie immer anders. Es gibt keine deckungsgleichen Iche. Daher bleiben Urteile stets divergent. Sie bauen auf Hilfskonstruktionen im Gedächtnis auf. Es gibt keine objektive Erkenntnis.
Die Seele
Hier, mit dem Ich zusammen, stellt sich selbstverständlich die Frage nach der Seele. Genaugenommen handelt es sich dabei um ein Phänomen, welches nicht unbedingt ein Untersuchungsgegenstand der positivistischen materialistischen Forschung sein kann. Denn für die Seele existieren keine naturwissenschaftlichen Messinstrumente! Doch mit der Seele beschreitet man ein Feld, welches traditionell von Seiten der Geisteswissenschaft beschritten und von der Religion betont wird. Möglicherweise liegt hier auch die Antwort auf die Frage, was die oben erwähnten Nerven- und Gehirnfunktionen anwirft, was die Neuronen bewegt, und welche Informationen diese Neuronen beinhalten. Wenn es heißt, dass man weiß wo das Lachen im Gehirn ausgelöst wird und das Hirn den Grund des Lachens nachliefert, drängt sich die Frage auf, warum hält das Hirn es für notwendig, eine Erklärung nachliefern zu müssen. Die Intention des Gehirns scheint die zu sein, seinem Körper die Erklärung für Verhaltensweisen nachzuliefern. Man weiß heute, wo was im Gehirn verarbeitet bzw. gedacht wird. Doch über den Inhalt dieser Gehirntätigkeit ist nichts bekannt (Genauso wenig, wie man den Verfahrensgrund bei kombinierenden Computern kennt.). Also weiss man, wo gedacht wird, aber nicht was gedacht wird. Roth, Singer und weitere positivistischen Gesinnungsgenossen scheinen zu wissen, wo im Gehirn was stattfindet. Doch über die Inhalte, die stattfinden, weiss man nichts. Man weiß, wo das Sprachzentrum liegt. Aber weiß man auch, warum was gesprochen wird? Wenn man von den durch Neuronen gesteuerten Körpertätigkeiten spricht, behandelt man doch das vegetative Nervensystem, welches Mensch und Tier gemeinsam haben. Doch wo kommen die Ideen her? Wenn die Menschen mit dem selben Gehirnmodell zur Welt kommen, müssten alle gleich sein, und man hat keine Erklärung, woher die Varianten bis hin zum Fortschritt kommen. Sicher, die körperlichen Vorgaben bis hin zu den Informationsmengen und den Synapsen variieren. Woher kommen die Erfindungen von Feuer und Kochen und Rad und Waffensystemen? Woher entwickeln sich Dichten, Denken, Musizieren, Malen, Bildhauern, Bauen? (Die Astrophysiker sprechen von der ungeheuren Bedeutung der schwarzen Materie im Universum, doch diese dunkle Materie bleibt nach wie vor ein unfassbares Phänomen.) Die Seele kann der Neurologe nicht fassen, messen, wiegen, doch sie zeigt Wirkung! Warum empfindet der Eine das Glas halbvoll und der Andere das selben Glas halbleer?
Die Seele ist ein uraltes Thema und mindestens zweieinhalb Tausend Jahre alt. Die Griechen nennen das „Psyché“ und die Römer „Anima“, die Deutschen „Hauch“. Im Althochdeutschen hieß das „sêla“ und im Gotischen „saiwala“, im Germanischen „saiwolo“, welches mit dem griechischen „aiolos“ für „leicht beweglich“ zusammen gebracht werden kann. Seit Urzeiten schon bewegt die Seele das Denken verschiedener Kulturen. Seit Germanenzeiten denken wir Deutschen über die Seele als „die Bewegliche“ nach. Es gibt Geschichten, worin diese Seele metaphorisch als Vogel, Maus, Schmetterling, Schlange auftaucht. Homer kennt schon die Seele und versteht darunter den Lebensgeist, der im Körper wohnen muss, solange dieser sich regt. Im Falle des Todes wird diese Seele selbständig und real als Schatten bzw. Geist (der Hades, das Schattenreich).
Nun kommt Platon und spekuliert über eine „Weltseele“, eine Kraft, die sich selbst und die Welt bewegt, eine Ursache für das Erkennen ist. Er unterliegt hier wahrscheinlich asiatisch indischen Einflüssen, gerade, wenn er von der Unsterblichkeit der Seele spricht und ihr diverse Stationen mittels Wanderung durch verschiedene Leiber zuspricht. Er sieht auch Seelenteile und die Präexistenz (Anamnese) bis zu einer Postexistenz der Seele und deren Versetzung in den Fixsternhimmel. Der eher nüchterne Aristoteles sieht in der Entelechie (Zielgerichtetheit) eines organischen Einzelwesens die Bestimmung der Seele. So wie bei den Pflanzen das Ernährungsvermögen die Seele ist, bei den Tieren kommen noch Lust und Unlust, das Begehren und die Wahrnehmung wie die Ortsveränderung hinzu. Als Zentralorgan ortet Aristoteles das Herz. Bei den Menschen erhält die Seele noch göttliche Dimensionen. Denn sie versteht man präexistent, göttlichen Ursprungs und daher unsterblich. Die menschliche Seele vereinigt also die Kräfte der anderen Wesen und des Göttlichen in sich. Die antiken Philosophen deuten sie als Mikrokosmos gegenüber dem göttlichen Makrokosmos. Man versteht, dass sich hier die drei großen nahöstlichen Religionen bedient haben und die Existenz der Seele zum Wesen ihres Glaubens gemacht hat. Die materialistisch-positivistisch ausgerichteten Wissenschaften können mit ihrem Handwerkszeug hier nichts machen. In einer dunklen Höhle, wo ihnen die Energie fehlt, können sie nichts ausmachen, ja nicht einmal etwas vermuten.
Die Seelenlehre weitet sich daher im Abendland aus. Wenn der Mensch mal beim Nachdenken ist, gerät er gerne ins Spekulieren, was mit irgendwelchen Erfahrungen nichts mehr zu tun hat. Die Spekulation schaltet alles Körperliche aus. So phantasiert man sich am Ausgang des Mittelalters unter der Dominanz des Aristotelismus zum Thema Seele einiges zusammen. Die Zentrallehre des Aristoteles über die Seele und ihre Abstufungen provoziert weitere Interpretationen wie es Giordano Bruno tut und sich das Weltall beseelt vorstellt. Ja Kepler sieht die Erde beseelt, sonst würde nichts wachsen, blühen und gedeihen. Paracelsus führt das fort und verdächtigt die organischen Elemente der Beseelung. Man versteht das heute nach Einsicht in die moderne Hirnforschung sicher als Deutungsversuche unerklärbarer Phänomene. Man kann es auch als Versuche deuten, die Vitalität des Wachsens in der Biologie zu verstehen. Es geht ganz offensichtlich um Sinnsuche in einer ungeklärten Welt. Man sucht eine Art Extrakt des Lebens.
So kommt man zum Leib-Seele Problem. Die säugetierhafte Grundbefindlichkeit, die darauf hinaus läuft, dass es beim Menschsein nur um den Erhalt der Spezies Mensch geht – und nicht mehr – will man nicht wahrhaben. Die Idee von Gott beschreibt die Verzweiflung des Menschen, der sich nicht mit der Absurdität der eigenen Exstenz abfinden wollen. Sicher, das einfache ursprüngliche Leben ist nicht absurd, wenn man es rein vitalistisch vom Standpunkt des Säugetiers versteht. Da aber eine wesentliche Seinsweise des Menschen die Technik ausmacht, nämlich das Bemühen, dem Leben der Menschen artifizielle Hilfe zur Seite zu stellen, kommt dem Menschen diese Technik als etwas Selbstverständliches vor und er neigt dazu, sein Dasein zu überschätzen. Mit dem Tod kann doch nicht alles unwiderruflich beendet sein? Diese Frage offenbart das Absurde und als Rezept gegen dies Absurde bietet sich die Religion, der Glaube an ein göttlich geistiges Prinzip, an. Da dieser Gott als Schöpfer der Menschheit hypostasiert wird, muss der Mensch etwas vom göttlichen Geist als dessen Kreatur in sich tragen. So denkt man die Seele bzw. die Beseelung als Teilhabe am Ideal der göttlichen Ewigkeit und die Vorstellung von der Seele erweist sich religiösen Ursprungs. Der Seele als geistige Erscheinung geht jede materielle Substanz ab. Auch energetisch ist sie nicht messbar. Kein Wunder, dass unsere Naturwissenschaftler sie nirgendwo orten können. Ihnen fehlt die erforderliche Technik dazu. (Wie ihnen auch die Technik zur Fixierung der dunklen Materie im Weltraum fehlt.) Und so wenig die Hirnforscher die Seele mit dem Magnetostimulator beeinflussen können, sowenig können sie die Gedanken des Menschen orten. Für weitere Verwirrung sorgt ausgerechnet Immanuel Kant, der diesen materialistischen Ausgangspunkt für falsch hält. Auch Materie sei nur Erscheinung. Das liegt sicher in seiner Vernunftanalyse begründet. Denn die Erscheinung Materie baut sich der menschliche Geist nach dem ihm vorgegebenen Formen der Anschauung zusammen.
Die Bezweiflung der Seelenlehre durch die Hirnforscher liegt sicher in ihrem Glauben an die reine positivistische materialistische Phänomenologie begründet. Die beseelte Metaphysik kommt bei Comte und seinen rein vom Positiven materialistischen Nachfolgern nicht vor. Dementsprechend sind ihre Instrumente ausgebildet (Paul. Feyerabend, Philosoph aus dem Bereich des kritischen Rationalismus, hat sich in seinem Werk „Wider den Methodenzwang“ schon hinreichend kritisch darüber geäußert *3). Sicher in der Vorstellung von der Seele steckt viel Unerklärliches, Irrationales, Affektives. Man könnte es als den wahnhaft geistigen Lebensgehalt sehen, der sich den Fängen eines trivialen Materialismus entzieht. Die Seele meint einen unerklärlichen Vitalismus, der alle Menschen erhält und ihr Leben lang umtreibt. Sind wir nicht von beseelten Idioten (griech. für Uninformierte) umgeben?
Der Wille
Die Frage des Willens scheint hinlänglich erörtert, wenn auch nicht hinreichend differenziert. Selbstverständlich ist dem Menschen als Naturgeschöpf kein freier Willen eigen. Dazu erscheint er zu sehr von seiner Natur mit ihrer Triebanlage geleitet. Da ist er seinen verwandten Säugetieren nahe. Er muss sich nähren, trinken, wärmen, fortpflanzen, seine ganze Notdurft pflegen. Dazu haben diese Hirnforscher alles Notwendige vorgetragen. Da leitet den Menschen sein Gehirnsystem, wie den Plattwurm seine Nervenstränge führen. Doch übersteigen die Bedürfnisse das vitale Archaische, von der Natur bedingte, entsteht m.E. erst die wirklich ernsthafte Frage nach dem freien Willen. Schopenhauer hat sicher Recht mit seinen Beobachtungen. Stellt man die Frage nach dem freien Willen absolut, kann man dem Menschen diesen freien Willen nicht zusprechen. Da stehen Trieb, Instinkt, Begehren vor. Doch fragt man nach einem freien Willen außerhalb natürlicher Bedingtheit, nach dem Menschen als artifizielles von Technik bestimmtes Kulturwesen, sieht es etwas anders aus. Die Antwort darauf kann sicher nicht absolut ausfallen aber relativ.
Wille hat sicher als Grundbedingung die Ausprägungen des Ichs, das sich wollen. Das gilt ganz bestimmt für alle Bereiche der Kreativität und der Lebensgestaltung. Sicher, man kann nur wählen aufgrund der Vermögen die man hat. Dazu, über die Wahlmöglichkeit, hat sich Jean Paul Sartre hinreichend geäußert. Man kann nur unter seinen Talenten und Anlagen wählen. Mein Wille hängt also von gewissen Vorgaben ab. Sartre nennt das die Situation, in welcher ich mich befinde. Mit anderen Worten, der Wille hängt von der erfahrbaren Wirklichkeit ab. Drängt mich ein Wollen, stellen sich dem Widerstände entgegen. Man muss wollen können. Ich werde nur Weltmeister im Gewichtheben, wenn ich der Stärkste mit der besten Technik bin. So ist es mit allem und jedem. Dazu kommen noch individuelle Persönlichkeitsstrukturen. Gebe ich mich in dieser Gesellschaft als indifferentes Subjekt, wird mein Wollen stets beschränkt bleiben und ich fühle mich im Mainstream wohl. Bin ich jedoch zum Widerspruch geboren und fühle mich als differentes Subjekt, suche also mit Derrida die Différance, steigt die Freiheit des Willens. Hier greift das, was Singer sagt, dass ein sogenannter starker Wille in der Natur angelegt ist und die Natur treibt den Menschen zu Hochleistungen, welcher Art auch immer, an. So erweist sich der Wille letztendlich als Naturgabe, und von einem absolut freien Willen kann kaum noch gesprochen werden. Er zieht sich ganz in die persönliche Intimität zurück, wie die Seele auch.
Aus diesen Aspekten der Hirnforschung ergaben sich her einige Fragen von Seiten der Geisteswissenschaft, insbesondere der Kulturwissenschaft und der Philosophie (die Psychologie müsste m.E. ihren naturwissenschaftlichen Standpunkt noch übersteigen, um hierzu weiter Erkenntnis zu gewinnen). Sicher, die hiermit befassten Naturwissenschaftler sind schnell dabei mit ihren Schlüssen vom nicht angeborenen Ich, der damit zusammenhängenden Seele, der Bezweiflung eines freien Willens ob der erkannten Hirnmechanik. Es fragt sich jedoch, welcher Art die energetischen Impulse im Hirn sind. Handelt es sich um reine Energie oder sind diese Neuronen auch Informationsträger oder entsteht die Info im Gehirn? (Letzteres scheint wahrscheinlich.) Unterliegt der Mensch einer Vernunftmechanik oder ist das Denken ein chemischer Vorgang? Woher kommen die Gedanken? Der spekulierende Denker in der Stube, der Maler im Atelier, der Komponist am Klavier, woher kommt deren Leistung? Sinnlich erfahrene Umwelteinflüsse, neuronal bewältigt, machen keinen Beethoven, Vermeer, Shakespeare aus. Deren Schaffen mag etwas Zwanghaftes, und das ist Natur bedingt, an sich haben. Aber es lässt sich nicht allein auf ein reines neuronales Wirken reduzieren. Erweisen sich Talente durch eine besondere Verbindung der Synapsen, die variabler arbeiten als beim Durchschnittsmensch? Ist das Genie frei oder zwanghaft, bringt seine Natur es zum starken und besonderen Ich oder ist es nur Laune der Natur und damit eine Abnormität?
Liegt die besondere humane Leistung in einer Zeit? Ist es daher eine Art Würfelspiel der Natur im Raum-Zeit-Kontinuum, wen es trifft eine Erfindung zu machen? Die Dampfmaschine war nicht im 16. Jahrhundert zu machen. Die Relativitätstheorie konnte erst Anfang des 20. Jahrhunderts gedacht werden. Wenn Konrad Zuse den Computer nicht erfunden hätte, hätte jemand anders es getan. Das Individuum wir überschätzt. Es folgt den determinierten Möglichkeiten der Erfindungen, indem es sie verwirklicht. Das „Genie“ der Erfinder besteht in einer resoluten Technik der Kombinatorik („Genie ist Fleiß“ Picasso).*4 Aber, dass große Gedanken sozusagen in ihrer Zeit liegen und eher zufällig jemanden treffen, der sie ausspricht, wie der Philosoph Peter Trawny (*4) meint, kann man nicht ganz nachvollziehen. Es gibt Völker, wo das mehr der Fall ist und Völker, wo so etwas niemals vorkommt. Dass die besonderen Entdeckungen gemacht werden liegt doch an der Dichte einer dafür notwendigen Informationsbreite. Die Spaltung des Atomkernes durch Otto Hahn geschah in Deutschland, weil etwa zwanzig Jahre vorher der deutsche Kaiser die Naturwissenschaften an den Schulen des Landes förderte und in Deutschland das naturwissenschaftliche Feld erweiterte. Ist es dann so, dass Quantität in Qualität umschlägt? (Je mehr Input, desto wahrscheinlicher die Aussicht auf qualifizierten Output.) Löst eine gesamtgesellschaftliche Konstitution qualifizierter Iche eine kulturelle Beseelung aus? Mit Wittgenstein können wir über die Seele nichts sagen, wir können aber über die Seele Gedanken fassen.
*1. Mit Kant am Strand. München 2005. DTV S.51-63
*2. Im Schatten des Sinai. Berlin 2013. Suhrkamp S.13 ff
*3. Wider den Methodenzwang. Frankfurt 1977. Suhrkamp
*4. Technik, Kapital, Medium. Berlin 2015 Matthes & Seitz S.33 ff