Wahrheit und Freiheit

Ein Ort, wo intensiv um die Wahrheit gestritten wird, ist die Politik. Hierbei erhofft man sich das Walten der Vernunft. Doch bei genauem Hinsehen stellt man fest, dass man zuletzt auf der Schule oder Hochschule mit Vernunft konfrontiert wurde, im politischen Raum fällt die Vernunft weniger auf.
Es herrschen Ressentiment, von Affekten gesteuerte Meinungsäußerungen und schiere Polemik. Nun behaupten die Vertreter der modernen Naturwissenschaften von sich, das alleinige Feld der Ratio zu beackern. Alles andere auf der Welt sei unreflektiertes Sentiment. Ja selbst die Geisteswissenschaften und übrige Kultur sei auf einen physikalischen Nenner zu bringen. Die Erkenntnisse der Naturwissenschaften enthalten allein die zeitgenössischen Wahrheiten. Und es gibt Politiker, die mangels eigener Erkenntnis, sich daran anschließen. Die Marxisten tönen vom wissenschaftlichen Materialismus und klopfen den positivistischen Materialismus fest, wie die übrige zeitgenössische Linke auch.
Die Welt zeigt sich wie ein Puppenspiel, und wer da Regie führt, das will man nicht wissen (obwohl man es wissen könnte). Die Welt ist das, was sich medial zeigt. Der Mensch ist wie eine Puppe; laut Kierkegaard sind wir alle Schauspieler in einem banalen Spiel. Nach dialektischen Regeln glaubt man selber Regie führen zu können. Doch wie will eine Puppe, ein Objekt des Puppenspiels „Welttheater“ sich objektivieren und aus der Regisseurperspektive die Dramartugie und das Spiel bestimmen? Wie sollten wir Menschen uns objektiv positionieren können, wo wir schon immer mitten Leben befangen und triebhaft bestimmt sind!? Nur wer sich beherrscht, ist daher frei. So haben sich Weltanschauungen gebildet, die dem Menschen Freiheit und Selbstbestimmung zusprechen. Das ist einmal der Liberalismus, der die Freiheit im Namen führt und daher sich jeder Bevormundung und Dogmatik enthalten will. So schreibt er auch keine Lebensführung vor und überlässt jedem Individuum die Entscheidungsfreiheit. So kommt dem Individuum als abendländischem zentralen Subjekt im Liberalismus die hohe entscheidende Bedeutung zu.

Dagegen hält die Welt des Sozialismus und des Marxismus, die eher die altruistische und eigentumslose Seite betont. Der dialektische Materialismus gibt vor, auch Freiheit und Selbstbestimmung der Menschen zu wollen. Doch Lenin hat davor die Parteiorgane gesetzt, vorgeblich kenntnisreiche Personen, die dem Menschen vorgeben, was „objektiv“ richtig ist und die Gesinnung bestimmen. Das nennt sich „Bolschewismus“. Der bolschewistische Marxismus betont die Arbeit als Mittel des Zugangs zur Welt. Daher kommt dem Arbeiter, dem Proletarier, die herausragende Rolle bei der Durchsetzung der Wahrheit zu. Zentralobjekt beim Marxismus ist der Arbeiter, der Ausführer der Umsetzung des Gestelles, der Technik also. Beim Liberalismus ist es der Bürger, der sich über die von ihm entwickelte Kultur definiert und dabei dem Arbeiter im Wege steht. Der Faschismus definiert sich zwar auch über den „kleinen Mann“, den Arbeiter. Auch hier wird der Arbeiter durch die Partei gemaßregelt, wie beim Bolschewismus. Schlagkraft erhält die Arbeiterschaft als Gemeinschaft der Schwachen. Hier hat die faschistische Partei (bei den Bolschewiki abgekuckt) das Sagen, doch in den Spitzen der faschistischen Partei dominieren nicht Vertreter der „Arbeiterklasse“, es bestimmt hier der von Allmachtsphantasien trunkene Kleinbürger. Faschismus ist also die Gemeinsamkeit der Kleingeister („gemeinsam sind wir stark“, Qualität ist Quantität). Man sieht, im Marxismus und Faschismus wird das menschliche Individuum zum Mittel herab gewürdigt, während man im Kantischen Sinne den Menschen als Zweck verstehen sollte. Auch deshalb sind „Faschismus wie Stalinismus“ (Rudi Dutschke) ab zu lehnen.

Als parasitär zum Marxismus bezeichnet sich Jean Paul Sartre mit seinem Existentialismus und beschreibt die Freiheit des Menschen dermaßen radikal, dass er den Menschen identisch mit der Freiheit deutet. Der Mensch ist Freiheit und schafft aus der erkannten Freiheit sein Wesen. Doch Albert Camus, ebenfalls Existentialist, sieht diese Freiheit nicht und versteht den Menschen festgehalten in einer absurden Situation, nämlich der des Sisyphos, den das Schicksal verdammt hat, eine aussichtslose Situation zu bearbeiten (einen Fels hinauf zur Bergspitze zu wälzen, der ihm immer wieder kurz vor Erreichung des Zieles entgleitet und wieder zu Tal rollt) , von der er weiß, dass er sie nicht bewältigen kann. Die menschliche Existenz ist aussichtslos, sie ist nicht zu bewältigen, da hilft keine Revolution, von der der Marxismus als Befreiung des Arbeiters schwärmt. Man muss das Leben aushalten und ohne Aussicht auf Erfolg revoltieren. Da nimmt der Existentialismus Abschied vom Marxismus und nimmt Anschluss bei Immanuel Kant, dem Philosophen des liberalen Bürgertums. Der deutet bekanntlich den Anspruch auf totale Wahrheit als Hochstapelei. Denn der Mensch ist nicht geschaffen, das Absolute zu erkennen. Die Erkenntnis der Wahrheit hängt am menschlichen Erkenntnisapparat, den fünf Sinnen, der vorgegebenen dreidimensionalen Weltsicht, den logischen Regeln der Vernunft mit ihren Kategorien. Das Ding / die Welt an sich, das Absolute, kann der Mensch nicht nennen. Er überblickt niemals das universale kosmische Geschehen. Das führt in letzter Konsequenz zur Relativierung aller Wahrheiten. So gerät die Wahrheit zu einem flüchtigen und unfassbaren Ding. Eine linkshysterische Politik will das nicht wahrhaben, sie will das banale Menschsein nicht wahrhaben. Die rechtsaffektive Politik  verweigert sich dem gleichermaßen wie alle Religionen überhaupt. Immerhin versucht das Christentum einen ausweichenden Schlenker und betont scholastisch dialektisch, es handele sich ja um Glauben und nicht um Wissen. Das Wissen sei Thema der Kritiken des I. Kant. Der Glauben stehe emotional höher. Der Islam will ganz bestimmt von diesem Wissen nichts wissen. Ja er verurteilt jede Vernunftaktion als Gottes lästerlich und als Häresie, und die Juden fassen sich exklusiv und allein erleuchtet. Die übrige Welt interessiert sie nicht, weshalb sie auch nicht missionieren. Der Buddhismus betrachtet die Beschränkungen der Vernunft und löst alles im Nirwana, der unendlichen Bewusstlosigkeit auf.

Doch, wo die Vernunft schläft, wachsen die Ungeheuer. Das erleben wir heute immer wieder und haben es im 20. Jahrhundert erfahren. Trotzdem muss man sich noch mit rechtsradikalen Verirrungen und linksradikalen Verstiegenheiten rumschlagen. Deren Wahrheitsbehauptungen, obwohl längst widerlegt, treiben böse Blüten und trüben alle politische Vernunft ein.

Hierauf macht die sogenannte Frankfurter Schule aufmerksam, die sich in Anlehnung an Kant „kritische Theorie“ nennt und von „instrumenteller Vernunft“ spricht. D.h. sie deuten die Ratio als durch bürgerlichen Missbrauch vergewaltigtes Herrschaftsmittel. Nur der liberale Bürger habe die Freiheit, die Zeit und Macht, die Vernunft zu entwickeln und damit die Wahrheit zu bestimmen. Dies bürgerliche Subjekt sei daher obsolet und vom Proletariat abzulösen, damit der Arbeiter in sein Recht eigener Vernunfterkenntnis gelangt. Dahinter winkt Marx’ Forderung nach der „Diktatur des Proletariats“. Diese Diktatur zerstört die bürgerliche liberale Demokratie und Adorno wie Horckheimer treten Kant mittels Vernunftklitterung gegen das Schienbein. In deren Folge löst Habermas das Subjekt (= bürgerliche Ideologie) als Wahrheitsträger auf und lässt die Erkenntnis der Wahrheit herrenlos in der Gesellschaft treiben. Nur im freien und kommunikativen Diskurs des menschlichen Kollektivs sei die Wahrheit vorübergehend fassbar. Wahrheit erhält so Deutung als Ergebnis einer Gemeinschaft, als Erzeugnis einer Quantität und missrät zum Utilitarismus. Nicht das Subjekt erzeugt Wahrheit, sondern die Masse der Werktätigen. Freiheit und Wahrheit verflüssigen sich, die Vernunft unterliegt nicht länger Descartes Rationalismus oder Kants Analyse und Kritik. Vernunft gerät zum „Simulacrum“ („Vorspiegelung/Simulation“ lt. Baudrillard/strukturalistischer Philosoph) einer verwirrten Mediengesellschaft. Amerikanische pragmatische Philosophen nennen das „sozialdemokratische Philosophie“. (M.E. ist das stark soziologisch geprägte Philosophie.)

Diese „Kritische Theorie“ von Habermas und Co. verstellt in Deutschland den Blick auf den (französischen) Strukturalismus. Denn in Frankreich tut sich einiges in Sachen Philosophie und Deutung der Wahrheit. – Das 17./18. Jahrhundert war die Zeit der (liberalen) Aufklärung und Begriffsbildung. Nach der französischen Revolution geriet das 19. Jahrhundert zur bürgerlichen Epoche mit der Vernunftdeutung des deutschen Idealismus. Die deutsche Philosophie herrschte etwa bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts und war durch und durch bürgerlich. Seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts lösen französische Denker diese Dominanz ab, wenn sie auch u.a. auf deutsche Vorbilder zurückgreifen. Vom Existentialismus bis zum Strukturalismus beschäftigt man sich mit Kant, Fichte, Hegel, Marx, Nietzsche, Husserl, Heidegger ... Doch dieses französische Denken ist nicht mehr bürgerlich liberal, sondern - wenn auch aus dem Bürgertum kommend - antibürgerlich, eher kritisch marxistisch und man beginnt den jungen freien Karl Marx zu entdecken bevor er von Lenin bolschewistisch uminterpretiert wurde. Von Foucault über Barthes, Baudrillard, Lévi-Strauss, Deleuze, Derrida (Levinas lässt grüßen) bis neuerdings Alain Badiou, deutet man die Wahrheit als Ergebnis von schwer erkennbaren Strukturen der Sprache und historischen Entwicklung (Foucault), der Strukturen der Konvention (Barthes), der Strukturen der Kulturen (Lévi-Strauss), der Denkkonventionen und Angst vor dem Fremden/Anderen (Derrida) ... Es gibt viele Momente und Affekte, die die Vernunft leiten  und die alten Vordenker scheinen überholt.

Und mit diesen Allen fragt man sich, hat der traditionelle Liberalismus noch eine Chance? Wo bleibt die Freiheit, oder sind wir triebhaft vorbestimmt, wie Schopenhauer meint? Sind wir nicht frei, aber alle gleich, wie Vulgärmarxisten und Gendersexuierte uns für vorhalten und vorschriftsweise glauben machen wollen? Der traditionelle Liberalismus a la FDP und Co. hat sich nun wirklich überholt. Die meisten europäischen liberalen Parteien schauen aus wie Restposten aus der Schlecker- und Karstattauflösung. Wer ist so naiv und glaubt heute noch an Selbstheilungskräfte des Marktes? Der muss in vielen besonders von Gier betonten Fällen kontrolliert und gemaßregelt werden. Lobbyismus steht für einen toxischen Markt, weil er den freien Markt bis zur Korruption negativ beeinflusst.
Den Fluss der Zeit und die damit einhergehende Dynamik des Denkens haben die Marktapostel nicht reflektiert. Von der FDP zu den „Sozialliberalen“, das sieht aus wie Alters-Make-up. Man kann nicht zugeben, dass man alt und unmodern wird. Auch die SPD unterliegt diesem Irrtum. Sie feiert 150 Jahre Arbeiterpartei und die Arbeiter gehen ihr laufen. In NW haben sie mit den Grünen zusammen den Ruhrgebietskumpel abgeschafft, und die Agenda 2010 schafft die steigenden Werklöhne ab. Der Arbeitsmarkt regelt sich wesentlich übers Internet und die „Jobcenter“ kaschieren den Verlust der Vollbeschäftigung. Wofür bedarf es noch einer Sozialdemokratie? 150 Jahre sind genug und Lassalle wird seine Arbeiterpartei nicht mehr wieder erkennen. Die Grünen entledigen sich des Bündnis 90. Die CDU, jeder Vision verlustig, lässt sich vom Internet überrollen und man bemüht sich um eine neue Deutung des Liberalismus, der Freiheit der Menschen jenseits pekuniärer Macht und Verfügungsgewalt und Markteigentum. Ein freier Markt ist für alle da und nicht allein für eine sich omnipotent gebende Managermafia, die sich untereinander die Bälle zuschmeißt. Die Linke hilft hier gar nichts. Sie begibt sich bei passender Gelegenheit ans Rauben und wenn sie das Volksvermögen verteilt und verfrühstückt hat, wer sorgt dann für die Heuer?
Denken wir über die neue Wahrheit der Freiheit!

Landläufig versteht man unter Freiheit eine Unabhängigkeit von Konventionen. Wer nicht arbeiten geht, der hat frei! Freizeit gilt als Zeit der Freiheit. Wenn man nicht müssen muss, hält man sich für frei. Nach der Scheidung wähnt sich manch einer für frei. Frei gerät so in ein Denken „frei von etwas“. Doch Freiheit ist mehr als ein Adjektiv. Wer da glaubt, der Westen sei frei, weil er seinen Bürgern freie Wahl lässt, und wer die Wahl hat, hat die Qual, der irrt. Es gibt heutzutage keine echte Wahl, da hat der Mainstream für gesorgt. Es dominiert die politische Korrektness. Womit wir wieder bei Sartre sind. Denn der sieht den Menschen permanent vor die freie Wahl gestellt. Den individuellen Mensch sieht er in seiner jeweiligen Situation immer frei zu wählen, was und wer er ist, was er glauben will oder nicht, wo er sich in der Gemeinschaft sehen will, was er von seiner Herkunft hält und wo er seine Hinkunft sieht, was er ausbildungsmäßig, beruflich, politisch will. Will man sich anpassen und einfügen oder eigensinnig gegen den Strom der Zeit schwimmen? Bin ich ein Wellenreiter und lasse mich von einer überbordenden Medienwelt politisch weltanschaulich vereinnahmen oder versuche ich mich von einem „Mainstream“ zu unterscheiden und wage eine eigene Meinung, selbst wenn man mir das negativ ankreidet? Wer eigenständig und frei sein will, kann sich nicht rausreden, der muss sein Leben allein verantworten. Daher heißt es auch „Freiheit und Verantwortung“. Viele, wenn nicht die meisten Menschen, scheuen die Verantwortung. Daher versucht Eichmann sich rauszureden, wenn er sagt, er habe nur Befehle befolgt. So sind sie die Bürokraten, sie geben sich fremdbestimmt und geben vor, nur ihre Pflicht zu tun. Das ist ihre Lebenslüge. Sie verweigern sich der Freiheit. Sartre nennt das „Unaufrichtigkeit“, man verleugnet sich die Freiheit und gibt vor, nie eine Wahl gehabt zu haben. Freiheit erkennt man nun als ein Ding der ganz persönlichen Intimität.
Auf der Zerbrechlichkeit der Freiheit baut die Politik auf und gibt vor, es seinem Wahlvolk schon recht zu besorgen. Wer da immer nach dem Staat ruft, muss sich nicht wundern, wenn der Staat macht, was er will. Eigentlich sind wir alle „der Staat“, doch tatsächlich lassen sich einige Geltungsbedürftige und Machtwillige (und Leistungsunwillige?) mit Hilfe von ihnen zugetanen Medien wählen und bemächtigen sich des Staates. Genaugenommen könnte man das Ganze auch auswürfeln. Im Endeffekt kommt es aus das Selbe raus, man hat sich seine Freiheit verweigert. Soweit das Freiheitsverständnis und die Weltwahrheit von Jean Paul Sartre, dem absoluten Atheist und Hasser bürgerlicher Konvention.
Nun gibt es in Frankreich einen neuen grundsätzlichen Philosophen und Querdenker (alle „neuen“ Philosophen sind Querdenker), der reichlich aneckt und „jetzt erst“ in Deutschland bekannt wird. Seine Bücher werden ca. 10 Jahre nach dem Erscheinen in Frankreich populär. Alain Badiou ist eigentlich kein Strukturalist mehr und er fasst das Subjekt neu. Er kann einer neuen unbürgerlichen Liberalität Anregung geben, weshalb er hier grob vorgestellt sei und das bisher Vorgetragene hier zum Grundverständnis vorgetragen wurde.

Der 1937 in Marokko geborene Alain Badiou beschäftigt sich mit den Fragen der Universalität und Einheit. Ist unsere Welt unendlich offen oder besteht sie aus abgeschlossenen Einheiten? Haben wir fixierte Werte oder ist die Ethik ambivalent? Gelten unsere zivilatorischen Regeln absolut oder sind sie nur relativ? Badiou verneint eine allgemeine Ethik, weil es kein absolutes Subjekt gibt (dies Subjekt ist nicht mit dem psychologischen Subjekt identisch). Das Subjekt konstituiert sich im Geschehen seiner Zeit, bleibt also relativ zur Situation.
Hier kommt ein wesentliches Thema Badiouscher Gedanken auf. Im Zentrum steht das Ereignis, es ist ein Aufblinken der Wahrheit. Daher meint Badiou, es gebe in der Politik ein Denken, das die Wahrheit ermögliche. Diese Wahrheit zeige sich im Ereignis als politisch völlig neuer also emanzipativer Prozess. Das Ereignis entkommt als Ergebnis einem fließenden Zeitprozess. Aus dem Walten des Seins des Seienden (Heidegger) springt das Ereignis als neue Wahrheit hervor. Das Ereignis entspringt einer Lücke im Seienden. Damit ist die Lücke im tradierten systematischen Denken gemeint, ein Denken welches im gewöhnlichen Reflektieren nicht vorgesehen ist, was also strukturell keinen Platz hat und nun zu Wort kommt. Die Leere spricht daher im Ereignis.
Das Aufkommen der Arbeiterbewegung stellt ein Ereignis dar, wie auch der Feminismus. Faschismus und Nationalsozialismus z.B. gehören dem Ereignis nicht an, weil sie keiner strukturellen Leere entstammen. Sie sind das historisch Gewöhnliche, wie es auch große Teile der heutigen Politik sind. Im Ereignis geht es um die Lücke in der tradierten Ordnung.
Selbstverständlich spricht sich Badiou daher für die Vielheit aus. Denn die traditionellen Einheiten verleugnen diese Lücke im Seienden und lassen kein Ereignis zu. ( wie die Religion, der Islam etwa, diese freie Lücke verleugnet und seit Jahrhunderten ihre eigene konventionelle Gewöhnlichkeit behauptet). Mit „Ereignis“ meinte schon Heidegger das wirklich neue Ungeheure. Badiou, der moderne Marxist reißt die alten Urteile auf und sucht die Lücken im System. Er hat sich über die Borniertheiten der Dogmatiker geärgert und die Einheit der Welt in Frage gestellt. Neue Philosophie entsteht also nicht nur über das Staunen über die Welt, sondern auch über das Ärgern über ihre Phänomene und Badiou ärgert sich über selbstgewisse Wissenschaften und selbstherrliche Religionen, statische Politikdogmatik. Schon Sokrates und Platon ärgerten sich über die Sophisten, Aristoteles über die Neoplatoniker, Marx über Hegel, Wittgenstein über die sogenannten Kulturschwätzer und intellektuellen Geistesakrobaten, Adorno und Habermas über Heidegger und die Philosophie des deutschen Idealismus und nicht zuletzt über Immanuel Kant und dessen liberale Vernunft. Die ist bürgerlich und deshalb „instrumentell“, weil die bürgerliche Welt sich vorgeblich ihrer nach Gutdünken bedient und die Arbeitnehmerschaft mit bürgerlicher Gesellschaftsordnung und Gesetzgebung kujoniert. Wie Sartre steckt auch Adorno voll bürgerlichen Selbsthasses, dass er den väterlichen Namen Wiesengrund nur aufs W. (Theodor W. Adorno) reduziert. So unternimmt man alles, um die „bürgerliche“ Vernunft zu diskriminieren, vor der die marxistische Theorie und Dogmatik keinen Bestand hat. So reizt auch Badiou konservative Marxisten und vor allem die Maoisten, indem er die Lücken in ihrer Lehre aufzeigt. Ja man unterstellt Badiou Antisemitismus. Er verurteilt lediglich das jüdische Subjekt mit seiner Hermetik. Die Wahrheit des Subjektes verflüssigt sich auch bei der kritischen Theorie. Sie findet laut Habermas im „offenen Diskurs“ statt. Er meint, dass die Vernunft ein Ergebnis einer freien Kommunikation sei. Doch das Ereignis gewinnt im Diskurs keine Chance, denn der Diskurs bleibt konventionell bestimmt, weil er auch medial konform ist.

Schon Horckheimer maßte sich an, zu bestimmen, was ein „Antisemit“ sei und denunziert einen schuld- und ahnungslosen Golo Mann beim hessischen Kultusminister, damit Mann die Professur für Geschichte an der Universität in Frankfurt nicht erhält. So will die „Frankfurter Schule“ den historischen und vorgeblich offenen Diskurs bestimmen. (Golo Mann nannte daher Horckheimer und Adorno „Lumpen“.) Zu dem Ereignis der Freiheit wird es da nicht kommen.
Man will die Wahrheit nur als Ergebnis einer „proletarischen“ Dialektik (dabei war es Lenin längst klar, dass das Proletariat unreflektiert ist und es der Revolutionsführer bedarf). Badiou dagegen betreibt Philosophie ereignisoffen. Er unternimmt einen Gegenentwurf zu überkommenen Systemen. Wo sind die Lücken in unserem System? Ist das Subjekt wirklich tot? Nein, das kann nicht sein, es gibt auch kein intersubjektives Ton- oder Kunstwerk. Ist eine intersubjektive Poesie vorstellbar? Die Wahrheiten wechseln je nach Diskurslage.

Badiou wählt eine diametrale Antihaltung zu dogmatischen Systemen. Ganz klassisch bekehrt er sich zum philosophischen Universalismus und zur wissenschaftlichen Rationalität, die sich an mathematische Erkenntnisse ideal orientiert. Badiou zitiert die Mathematik, um zu zeigen, dass es eine vernünftig nachvollziehbare Wahrheit und deren Träger, das Subjekt gibt. Hier zeigt sich das Ereignis im Sein. Das Ereignis als Ausdruck des Seienden hat sein Sein in den unterschiedlich organisierten Feldern der Politik, Kunst, Wissenschaft und ja auch der Liebe.
So stellt sich die Frage, welches Ziel sollen politisch Handelnde wählen. Was ist mit dem Trend der Verflüssigung aller Identitäten?

Die Juden etwa bestehen auf der Treue zum Gesetz und lehnen Badious philosophischen Universalismus ab. Auch anderen Religionen und Weltanschauungen kann Badious Subversivität nicht recht sein. Weil man ihm die Auflösung des Judentums und auch anderer Religionen unterstellt. Die Juden befürchten, in einer Welt des liberalen Multikulturalismus dürften alle Gruppen ihre Identität behaupten (wie die Palästinenser etwa), nur die Juden nicht. Badiou findet allerdings viele Identitäten ergebnisoffen. Geschlossene Identitäten stellen Versuche dar, die permanent laufende Zeit zu stoppen und die vermeintliche Platznahme in der Welt zu fixieren, was eindeutig widernatürlich wäre. Badiou sagt, wer der Freiheit der Identitäten Grenzen setzen will, verabschiedet sich von der Emanzipation durch Aufklärung. Es geht um eine radikale Emanzipation, was aus humaner Sicht unbedingt notwendig und vertretbar ist. Der Dynamik des Menschseins gilt die Freiheit.
Auf jeden Fall fordern wir das für die Gemeinschaft der Europäer. Dem Europäer darf keine dogmatische Vorstellungen von Endlichkeit und Begrenztheit (z.B. Kommissionsbürokratie) überstülpen. Der Mensch darf sich mit keiner Prädestination abfinden. Camus sagt uns das schon in seiner Schrift „ der Mensch in der Revolte“. Ständig soll das menschliche Individuum gegen das ihm Zugewiesene revoltieren bzw. aufbegehren. „Aufbegehren“ ist ein Schlagwort der Freiheit, ein emanzipatorischer Begriff, den wir üben und pflegen sollten.

Juden, Christen, Mohammedaner sehen das sicher anders und werfen den Menschen auf seine Endlichkeit zurück. Nur nach dem Tod, im Jenseits sei der Gläubige frei. Allumfassende wie grenzenlose Liebe Gottes, Allahs, Jehovas, ... würde ihm offenbart. Das bedeutet, die Wahrheit läge allein in der Offenbarung Gottes und steht jedenfalls fest. Camus erkennt darin das Absurde des Lebens und Badiou hält dagegen. Eine allumfassende Liebe – die begrenzt - gibt es nicht! Denn das läuft auf Terror hinaus. Denn, wie gesagt, weigern sich alle totalitären Weltanschauungen, die menschliche Unendlichkeit anzuerkennen. Sie machen den Menschen zum Mittel Gottes, ja sie wollen, dass er sich opfert, sich dieser Liebe würdig zu erweisen. Allah gerät so zum Stalker des Menschen. Ist Liebe nicht eine Projektion, eine Besitznahme?
Die Juden meinen zu Badiou, er sehe ihre Treue zum Gesetz als letztes Hindernis bei der Verflüssigung des Judentums, was aber Badious Gedanken falsch interpretieren bedeutet. Es gibt einen Unterschied zwischen Auflösung bzw. Verflüssigung und Endgrenzung zwecks Emanzipation. Letzteres vertritt Alain Badiou. Er will auch keine Überwindung der Trennungen in eine allumfassende, letztlich vereinheitlichende Einheit, was einem neuen Faschismus nahe käme. An die Bedrohung durch eine Endlösung, einer totalen Vernichtung des Judentums (wie manche vermuten und unterstellen), ist hier bei Weitem nicht gedacht. Natürlich erweist sich hier ein Streit innerhalb des Judentums (Badiou ist selber Jude). Badious Universalismus beginnt bei Spinoza, Marx, Freud (Lacan?), welche alle atheistische Juden und Verleugner der jüdischen Tradition sind. Es geht um die jüdische Identität! Doch diese beispielhafte Streit geht uns alle an. Denn ist ein Dissens über die tradierte Ordnung und über die Angst vor dem Anderen, welche die tradierte Ordnung gegen das unbekannte Andere aufrecht erhält.

Kant mahnt dagegen den „öffentlichen Gebrauch der Vernunft“ an, womit wir wieder bei den Juden sind. Stets trugen die Juden einen innerlichen Widerwillen gegen die staatliche Macht in sich - was auch uns allen ganz gut täte -.

Denn so gerät man in einen Universalismus, wenn man sich nationalstaatlicher Diktion nie unterwirft! Boris Groys (russischer Jude und Philosoph, in Deutschland geboren) verweist gerade darauf, dass die christlichen Europäer, insbesondere die Deutschen, den Juden ihre geistige Unabhängigkeit neiden. Deshalb erschein es lt. Badiou widersprüchlich, einen jüdischen Nationalstaat (Israel) zu errichten. So tritt der Jude auf den Plan, dessen Skepsis auch dem jüdischen Staat gilt, der sich weigert, diesen jüdischen Staat als sein Zuhause zu begreifen. Badiou tritt in skeptische Distanz zu diesem Staat. Es reicht ihm in dessen Nebenschauplätzen zu leben.
Selbstverständlich kommt das bei den zionistischen Juden nicht gut an. Sie sagen das „Zuviel an Freiheit“ richte sich gegen die israelische staatliche Ordnung. Doch Badiou fühlt sich in der Nachfolge Spinozas legitimiert. Er und seine Anhänger beharren auf dem „öffentlichen Gebrauch der Vernunft“, und die steht höher als alle staatliche wie religiöse Konvention. Man unterwirft sein Denken keinem Staat, insbesondere keinem Nationalstaat! Wir sehen dagegen Europa als den Versuch einer Kultur- und Wertegemeinschaft in föderalistisch organisiertem Staatswesen. „Europäische Nation“ wäre gegen einen europäischen Universalismus. Das richtet sich gegen die Aufklärung (Englands, Frankreichs, Deutschlands).
So wenden wir uns gegen Denkgebote und –Verbote. Hier sei an das schöne alte Lied aus später Romantik erinnert: „Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten...“ Man muss sie aber auch äußern und leben dürfen! Die Katastrophen des 20. Jahrhunderts entstammen Denkverboten wie dem permanenten Minderwertigkeitskomplex Adolf Hitlers gegenüber den Juden, dem Hass Stalins auf alles Liberale und dem liberalen amerikanischen Markt (Juden), dem archaischen Primitivismus Maos gegen das intellektuelle Bürgertum und Kompensierung durch Verherrlichung eines schlichten Bauerntums.

Die Gegnerschaft zu Badious offener Lehre von dem Ereignis der Wahrheit, führt sich wie eine Denkpolizei auf. Diese verfolgt vorwiegend einige intellektuell umtriebige Juden. Alle totalitären Konventionsgänger verfolgen den postmodernen Liberalismus, der ihnen und ihrer engen Vorstellung einer diktierten Weltordnung im Wege steht.
Doch Badiou betreibt die Sache der Aufklärung und hält deren Potentiale für längst noch nicht ausgeschöpft. Bevorzugte Kritik bleibt die Selbstkritik. Wie Camus im „Mythos von Sisyphos“ fordert, immer weiter zu machen, selbst mit wenig Aussicht auf Erfolg, so macht Alain Badiou weiter in seiner Revolte gegen die Überlieferung und deren Macht der Konvention mit ihren ereignisoffenen Lücken darin. Er sieht in der Politik ein Denken, in welchem Wahrheit möglich ist. Eine Politik der Emanzipation ist eine Politik der Wahrheit. Wahrheit ist Ergebnis eines momentanen Ereignisses, worin die Wahrheit als Ergebnis einer Erkenntnis eines Fehlers der Systematik eines Zeitprozesses aufleuchtet und den gängigen Diskurs erschüttert. So entkommt Wahrheit dem Walten des Seins des Seienden beinahe schicksalhaft. Das Ereignis von Wahrheit ist also ungeheures Geschehen im Seienden. Es verleiht einer Lücke im Seienden, im systematischen Denken, wo es strukturell noch keinen Platz hat, Ausdruck.
So kommt die Leere im Ereignis zu Wort. Im Ereignis spricht also die Leere. Das Aufkommen der Arbeiterbewegung stellt, wie schon gesagt, beispielsweise ein Ereignis dar, wie auch der Feminismus. Der Faschismus ist es nicht, kann es nicht sein, weil er keiner Leere entkommt. Er steckt im System. Er bestätigt und versteift die tradierte Ordnung. Es geht hier aber um die Lücke in dieser tradierten Ordnung.
Auf dem Feld des Streites um Totalität, der Kategorie von Einheit und Vielheit, sehen wir uns mit Badiou als Skeptiker der Einheit. Wahr ist allein die Vielheit. Nationale und internationalen Sozialisten entzieht das den Boden unter denn Füssen. Tatsächlich ist die Vielheit in der Welt, die Einheit entsteht durch den ideologischen Überbau ( wie etwa eine Genderdogmatik mit voluntaristischer Gleichschaltung der Geschlechter). Universalität verstehe man als Offenheit für die Vielheit.

Der Traum von der Universalität der Gleichheit übergeht alle (biologischen-kulturellen) Varianten und will doch nicht zuletzt dominante Systematik und verleugnet uns allen die Lücke und Leere, das Fehlerhafte also, im menschlichen Denken und Vorstellen. Diese Anmaßung endet im totalitären Faschismus und wir verstehen das als höchstgefährlich (wie Gendermanie in einem Sexualfaschismus endet). In letzter Konsequenz betreibt man die Auflösung aller natürlichen Unterschiede, Formvarianten von Menschheit. Multikulturalismus heißt letztendlich nichts anderes als Kulturverflüssigung und Abtrennung des Anderen. Man bemüht sich, alle Unterschiede, alle Grenzen des Menschseins aufzuheben und die Differenz, das Differenzieren zu unterdrücken. Das geht nur um den Preis der Selbstaufgabe. So strickt man am Stückwerk, was zu neuer Ungleichheit führt (weil man nicht in die Einheit passt), was ein Widerspruch in sich selbst ist.
Mit Badiou entscheiden wir für die immer wieder auftretende Freiheit der Leere im System und das hieraus kommende Ereignis der Wahrheit. Wahrheit als Entdeckung des Unbekannten mittels Üben der freien Vernunft?
Zuletzt gehört das dem Universal aus Technik-Kapital-Medium an. Es denkt sich als weltumspannendes Universal, in dem die Faktoren Technik (Machen), Kapital (Arbeit und Geld) und Medium (Formen der Reflektion und Erkenntnis) eingebunden sind und miteinander untrennbar verwoben mitwirken. Darin finden sich zwei Topologien kultureller Strukturen. Von denen ist die poetische Topologie die Älteste. Sie erklärt die Welt über ihre Geschichten und Mythen und landet im Wahn und der Paranoia (Kunst, Kultur, Geistes- und Sozialwissenschaften). Allmählich hat die mathematisch-technische Topologie die Idee-Materie-Matritze übernommen. Badious Ereignis findet in beiden Topologien statt, weil sie ja nicht perfekt sind. Die auftretende Leere gibt der Philosophie eine Chance. Ansonsten fristet sie in ihrer akademisch begründeten Existenz (Schule und Hochschule) ein marginales Dasein. In der Formulierung des Ereignisses liegt ihre Chance zur Wahrheit und Freiheit. Das Wesen des Universales produziert Wahrheit als Fluss des inkontingenten Geschehens (Trawny). Freiheit scheint nur noch in der sich öffnenden Leere der Intimität statt.